Erlebnisbericht Jolien
Hallo an alle,
ich bin nun schon seit 11 Tagen in Indien. Nun möchte ich für alle die es interessiert einen Wochenbericht schreiben.
14.08.11 Sonntag
Der Tag begann um 6 Uhr. Diese Nacht hatte ich besser geschlafen, vorher war die Hitze fast unerträglich gewesen.Es gab einen Gottesdienst, an dem ich probehalber (da ich nicht katholisch bin) teilnehmen sollte. Der Father hält diesen jeden Tag für die Jungs im Shelter in einem kleinen Raum. Nachdem Frühstück, zu dem bereits herzhaft gegessen wird, gingen wir ins Shelter [Anm.:Unterkunft für die Strassenkinder].Die Jungs hatten Tanztraining und übten an einem Tanz zum morgigen Unabhängigkeitstagvon Indien.Mittagessen gab es mit den Jungen zusammen, da wir danach ins Kino gehen wollten. Wir fuhren zu 15 in einem Auto: drei auf dem Beifahrersitz, 8 auf der Rückbank und 4 in Kofferraum. Ich fand es sehr lustig wie selbstverständlich so viele Kinder in das Auto stiegen wie nur möglich war. Vor dem Kino mussten wir auf den Rest der Kinder warten und während dessen versammelte sich eine Traube von Männern um uns und schaute uns (eine Freiwillige und mich) einfach nur an. Ich fühlte mich nicht bedroht, sondern eher wie ein Ausstellungsstück, wie ein Tier im Zoo. Es ist in Indien im Gegensatz zu Europa nicht unhöflich jemanden lange anzustarren und man muss sich als Europäer daran immer wieder erinnern. Es schauten auch einige Frauen, aber keine/r getraute sich so richtig uns anzusprechen und wir gingen auch auf keine Frage ein, sondern versuchten die Umringer zu ignorieren. Es war wirklich ein noch nie zuvor geahntes Erlebnis. Das Kino in Indien muss man auch erlebt haben. Der Film war nicht nach meinem Geschmack! Als der Film begann und der Held es Filmes auf der Leinwand erschien jubelte und klatschte der ganze Saal. Während des Filmes wurde bei tollen Szenen ebenfalls vor Freude gejohlt. Der Film war noch nicht zu Ende da stand schon der halbe Saal bereit zum gehen. Für die Jungs war es ein sehr schönes Erlebnis und so war es auch für mich schön, ihre Freude zu beobachten.
15.08.11 Montag
Der Unabhängigkeitstag ist ein sehr wichtiger Feiertag in Indien und wird groß gefeiert.In der Schule wurde ein Programm gestaltet bei dem Reden gehalten, mehrere Tänze vorgeführt und Lieder gesungen wurden.Alles war geschmückt in den Farben der indischen Flagge, orange, weiß, grün. Wie bei jedem Fest gab es natürlich auch eine Menge Süßigkeiten. In Indien gibt es die weltweit höchste Diabetes-pro-Kopf-Rate; nun: nach dieser Woche weiß ich warum.Man wird förmlich dazu gezwungen, das Süße zu essen, weil sie es einem in den Mund stecken wollen. Wenn man es ablehnt, könnten sie das als Beleidigung sehen.Es ist hier billiger wenn man Stoff für die Kleidung kauft und dann nähen lässt als wenn man fertige Kleidung kauft. Deshalb habe ich mir einigen Stoff gekauft und zur Schneiderin gebracht. Ich finde das sehr gut, da die Schneiderin auch einen Arbeitsplatz hat und eigentlich ist es auch logisch, dass Unverarbeitetes weniger kostet als Verarbeitetes. Bei uns ist es nur häufig so, dass die Kleidung eben gerade in Indien genäht wird und dadurch billiger ist als Stoff an sich. Das ist eigentlich ein Unding.Abends fuhren wir nach Sabbawaran. Dort gab es einen Wettbewerb für die Kinder und wir Freiwilligen waren mit Richter.Ich musste auch noch eine Begrüßungsrede halten und wusste vor Schreck nicht was ich sagen sollte.Ein paar Worte brachte ich dann aber doch hervor.
16.08.11 Dienstag
Heute habe ich zum ersten Mal beim Unterricht der zweiten und dritten Klasse, welche derzeit noch zusammen unterrichtet wird, zugeschaut.In der Mittagspause gingen wir einen Sari, die traditionelle Bekleidung der indischen Frau,für meinen Geburtstag kaufen.An besonderen, feierlichen Tagen dürfen auch unverheiratete Frauen einen Sari tragen. Ich war ziemlich nervös, da ich am nächsten Tag die dritte Klasse unterrichten sollte. Deshalb versuchte ich mich so gut wie möglich vorzubereiten.
17.08 Mittwoch
Heute habe ich das erste Mal unterrichtet und ich war vorher ziemlich aufgeregt. Ich dachte,viel vorbereitet zu haben, aber die Schüler konnten schon so viel und somit musste ich nacheiner Weile improvisieren und mir Neues ausdenken. Die Zeit verging nicht so schnell,aber irgendwann hatte ich es geschafft und war froh darüber. Jetzt wusste ich ein bisschenmehr auf welchem Leistungsniveau die dritte Klasse stand.
18.08 Donnerstag
Der heutige Unterricht verlief nicht so positiv. Bei der Multiplikation gibt es hier eine etwas andere Schreibweise.Ich hatte zwar eine Aufgabe vorbereitet, die ich als Beispiel für die Multiplikation mit zwei Faktoren vorrechnen wollte, aber dann bekam ich ein anderes Ergebnis heraus als ich mir notiert hatte. Als ich die andere Freiwillige zur Hilfe holte, bemerkte ich, dass ich mich beider Aufgabe verschrieben hatte und somit natürlich ein anderes Ergebnis herauskommen musste.Als ich noch Schüler war, hatte ich mich immer über unfähige Lehrer aufgeregt und deshalb fühlte ich mich um so schlechter, dass ich jetzt selber Schwierigkeiten hatte. Die Schüler nahmen es mir anscheinend nicht so übel, wie ich mir selber. Es dauerte eine Weile bis die ersten Schüler das Rechenprinzip verstanden hatte, somit rechnete ich eine Aufgabe nach der Anderen mit ihnen zusammen an der Tafel und dieses Mal konnte ich es auch gut erklären.Als es dann einige verstanden hatten, forderte ich sie auf es den Anderen noch einmal an der Tafel zu erklären.Als Hausaufgabe gab ich ihnen noch ein paar Aufgaben so konnte ich am nächsten Tag sehen, ob sie es verstanden hatten oder nicht.Ich hatte mich vorher nach einigen nützlichen Wörtern auf Telugu informiert und konnte sie nun anwenden. „Setzt euch hin“ heißt ausgesprochen z.B.: „Kutschandi“, „Verstanden?“heißt: „Attameinda?“. Ich musste feststellen, dass sie besser auf Telugu als auf Englisch hören und somit sind diese Wörter im Unterricht sehr wichtig. Eine der Schülerinnen freute sich ganz überrascht über meine neuen Worte. Sie rief: „You speaking telugu!“ („Du sprichst Telugu“). Es war ein schönes Gefühl, einerseits war ich auf mich selbst Stolz, etwas auf Telugu gesagt zu haben und andererseits freute sich noch jemand mit mir. Die Schüler sitzen alle während des Unterrichtes auf dem Boden. Hier in Indien wird generell mehr auf dem Fußboden gelebt: geschlafen, gekocht, gegessen und gesessen.
19.08 Freitag
Ich hatte mich natürlich wieder auf den Unterricht vorbereitet und an den Hausaufgaben in Mathe konnte ich sehen, dass fast alle das Gelernte vom Vortag verstanden hatten. Mit denen, die noch Schwierigkeiten hatten, rechnete ich ein paar Aufgaben zusammen,bis sie es verstanden hatten.Es ist also möglich in Mathe etwas vorzurechnen und zu erklären, auch wenn beide Seiten sich nur wenig verständigen können.Es waren heute einige Schüler mehr da als am Tag zuvor und somit musste ich ihnen noch einmal den gestrigen Stoff erklären.Ich setzte mich mit jedem einzeln hin und rechnete erst vor, dann schaute ich zu. Es bereitete mir Freude und die Schüler freuten sich auch über jedes richtige Ergebnis. Die Zeit der beiden ersten Stunden verstrich schneller als gedacht.Im Englischunterricht hatte ich ihnen spielerisch die Farben näher gebracht. In der Malstunde wollte ich testen wie viel sie gelernt hatten. Ich bereitete ein Mandala vor, indem in jedem Kästchen eine andere Farbe stand.Sie sollten nun das Kästchen mit der richtigen Farbe ausmalen. Meine Klasse schaffte es eigentlich ganz gut. Die Schüler der zweiten Klasse malten ebenfalls mit und viele von ihnen konnten noch nicht richtig die Farben zuordnen. Also schrieb ich z.B. mit einem pinken Stift das Wort „Pink“ auf ihr Blatt. Nun konnten sie durch vergleichen der Wörter die Farben zuordnen. Es war erstaunlich wie schnell manche diese Logik begriffen und andere etwas mehr Hilfe brauchten. Es war schön die Kinder bei dieser Aufgabe zu betreuen und ihnen zu helfen. Am Nachmittag ging es mir ziemlich schlecht und ich blieb bis Abends im Bett liegen.
20.08 Samstag
Samstag ist für die Freiwilligen der freie Tag, es ist aber meistens irgendetwas geplant. Wir konnten länger schlafen und ich malte mir mein erstes Henna-Tattoo. Um 11.30 fuhren wir in die Schule, da dort die Verabschiedung von Fabiana und das Willkommen von Martina und mir gefeiert werden sollte. Es war wirklich sehr herzlich, da ein Programm vorbereitet worden war, in dem geredet, gesungen und getanzt wurde. Jeder von uns drei Freiwilligen musste eine kurze Rede halten und ich war dieses Mal nicht so überrascht.Uns wurden Blumen und Freundschaftsbänder geschenkt und an der Wand hing ein großes für uns gedrucktes Plakat mit Fotos von uns drauf. Ich weiß nicht, ob die Begrüßung hier in Indien generell so herzlich und feierlich ist, in dieser Einrichtung wird ein Neuankömmling zumindest sehr willkommen geheißen.In der Mittagspause kaufte ich Schmuck auf dem Basar und man musste wirklich eisern handeln um auf einen Normalpreis zu kommen.Diese Härte und Geduld muss ich noch lernen.Um 17 Uhr gab es das monatliche Mitarbeitertreffen. Jeder Mitarbeiter gab einen Bericht über seine Arbeit ab, da aber fast alle in Telugu sprachen, verstand ich nicht viel. Ich musste mich noch einmal vorstellen. Dann wurde allen, die im August Geburtstag hatten/haben gratuliert und ein Kuchen angeschnitten.
21.08 Sonntag
Die Sonntagsmesse um 7.15 Uhr wurde heute der Verabschiedung der einen Freiwilligen gewidmet. Den Tag über bereitete die Jungs ein Programm vor, somit konnte ich nichts mit ihnen machen und hatte etwas Zeit für mich. Ich räumte auf, bemalte meine Hand mit Henna und schrieb Tagebuch. Die Freizeit tat mir gut.Mittagessen gab es im Shelter. Es gab extra etwas besonderes: Reis, Hähnchenstücken mit leckerer Soße und Gemüse mit Soße.Teilweise sehr scharf aber auch wohlschmeckend.18:30 begann das Verabschiedungsprogramm mit Reden, Tänzen und einem lustigen Theaterstückchen. Es war wirklich sehr schön und rührend.Wetter: Es sind so 30 bis 35 Grad. Nachts ist es etwas kälter. Man schwitzt aber ziemlich doll wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, da Visakhapatnam direkt am Meer liegt. Die ersten Tage war es sehr schlimm und belastend, nach einer Weile gewöhnt man sich jedoch etwas daran.Die Inder benutzen ein Puder, um dem Schwitzen entgegen zu wirken.Kleidung: Männer tragen meist lange Hosen und ein kurzes oder langes Hemd. Die verheirateten Frauen tragen meistens einen Sari.Er besteht aus einer engen, kurzen Bluse also Oberteil. Einem Tuch wird zu einem Rock gewickelt und über die Schulter gelegt, somit ist die Brust von dem Tuch bedeckt. Ich trage eine Panjabi. Dieses Outfit besteht aus einer lockeren Hose, einem längeren Oberteil,kurzärmlig, kleiner Ausschnitt vorne, hinten etwas größer. Über dem Oberteil trägt man ein Tuch, das die Brust bedecken soll.Die Kleidung ist ziemlich bequem und man gewöhnt sich an die lange Hose. Im Haus geht man barfuß. Auf der Straße tragen fast alle Flipflops.Essen: Das Essen ist hier meist ziemlich scharf. Es gibt immer Reis oder verschiedene Sorten von Fladenbrot. Dazu meist eine Soße (genannt Curry) mit Gemüse oder Hähnchen oder Fisch. Leider gibt es hier auch sehr viel sehr süße Süßigkeiten, die oft ausgeteilt werden (Ich versuche natürlich so wenig wie möglich zu essen).