Erlebnisbericht von Joelle
12. Juni 2012
Ich bin jetzt etwa eineinhalb Wochen da, und habe schon so viele Dinge gesehen und erlebt – es ist erstaunlich. Nur schon der lange Flug nach Vijayawada war ein Erlebnis für sich. Umso näher ich am Ziel war, umso mehr freute ich mich, und zugleich nahmen die Temperaturen zu. Als ich in Vijayawada ausstieg, wusste ich nicht wohin ich komme und wer mich abholt. Ich ging einfach hinaus, und wurde von mehreren Menschen von oben bis unten angeschaut (da ich noch die europäischen Kleider anhatte). Ein Herr kam dann schlussendlich auf mich zu und zeigte mir ein Blatt mit meinem Namen drauf. Es stellte sich heraus, dass er und der Fahrer, Arbeiter von Navajeevan waren. Die Fahrt zu der Wohnung war sehr aufregend. Das erste Mal spürte ich die Hitze, und meinen Pulli konnte ich weit unten in meiner Tasche vergraben. Überall waren Stände zu sehen, die Früchte verkauften, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ausserdem sah man immer wieder Kühe, und die wilden Rikscha-fahrer vorbeidüsen. Als ich im Hauptgebäude war, traf ich auf eine weitere Volontäre. Sie zeigten mir gleich mein Schlafplatz, und halfen mir auch in den weiteren ersten Tagen noch weiter. Ich war erstaunt und erleichtert in Indien angekommen zu sein.
Mein Traum war nun Realität. Die tollen Farben, und die Häuser waren an sich schon überwältigend, und auch die Höflichkeit der Inder schätze ich sehr. Vor allem die Kinder kamen immer wieder auf uns zu gerannt und wollten unsere Namen wissen. Oft fragten sie auch «What is your country?». Am ersten Tag, ging ich dann in das Projekt namens «Play School». Es ist für Kinder gedacht, die am Abend wieder zurück in die Familien gehen. Es war sehr schön zu sehen, wie die Kinder einen schätzen und wie vertraut sie gleich mit einem sind. Dieses Gefühl verstärkte sich noch als ich am dritten Tag in ein anderes Projekt kam, welches AKSHARA heisst. Dort sind Kinder aus den Slums. Sie sind noch offener, und spielten den ganzen Tag mit mir. Am schönsten war es, als die Kinder mich umarmten, Küsschen auf die Hand gaben, oder als speziell ein Kind «Thank you, sister» zu mir sagte. Ich war einfach nur noch überwältigt und durch und durch glücklich. Auch am Abend, nach dem Helfen in den Projekten, erlebte ich viel. Erst mal gingen wir Kleider einkaufen, sodass ich nicht mehr durch meine europäischen Kleider so auffalle. Ausserdem gingen wir zum Gemüsemarkt, der voller Düfte und Farben ist. Nächste Woche werden mir noch die restlichen Projekte gezeigt, und dann werde ich definitiv einem zugeteilt, wo ich dann den Rest meines Aufenthalts bleiben werde.
8. Juli 2012
Wow, schon der zweite Monate in Indien. Die Zeit vergeht hier so schnell weil immer irgendwo was passiert. Ich habe manchmal total mein Zeitgefühl verloren: Kaum ist man im Projekt angelangt ist die Woche schon wieder vorbei. Mein Wochen/Tagesablauf sieht meistens so aus: Ich bin, zusammen mit drei anderen Volontären, im Chiguru eingeteilt, das liegt etwas ausserhalb der Stadt. Im Chiguru sind die Mädels und Jungs aufgeteilt, und ich helfe mit einer Volontärin im Balika (das Haus, wo die Mädchen schlafen, essen, spielen etc.). Wir sind immer von Sonntag bis Donnerstagabend dort und am «Wochenende» sind wir zurück in Vijayawada. Das Chiguru liegt ziemlich abgelegen in den Feldern, und gleich am Krishna River. Es ist dort sehr ruhig und schön – vor allem die Sonnenaufgänge. Es ist echt schön die Abwechslung am Wochenende zu haben, wo einen das Stadtleben wieder erwartet. So bleiben beide Orte immer speziell und man freut sich wieder zurückzugehen.
Im Balika sieht unserer Tageablauf ungefähr so aus: (es kann gut vorkommen das ein Sponsor vorbeikommt, oder das die Mädels einen Ausflug machen und der Tagesplan nicht mehr so eingehalten wird) Wir Volontäre machen momentan gerade einen Yoga Kurs, was für uns bedeutet um 5:00 Uhr aufzustehen, und mit dem Rad die Schlaglöcher zu umfahren, sodass wir um 6:00 Uhr den Kurs anfangen können. Um 8:00–8:30 Uhr sind wir dann zurück, wo die Mädchen schon munter sind, gebadet und angezogen. Meistens sind sie schon am Frühstücken, wo wir uns dann dazusetzen. Um 9:00 Uhr ist immer Assembly – da kommt jeder vom Chiguru und Neuigkeiten werden mitgeteilt, und dann singen die Kinder noch. Ausserdem wird gezählt, ob alle Kinder da sind. Am Vormittag ist dann Unterricht, wo wir Volontäre zum Unterrichten eingeteilt sind. Meistens haben wir Englischunterricht, und diese Woche haben wir den Kindern die Wochentage, Begrüssungen und die Zahlen gelehrt, sodass wir ihnen nächste Woche die Uhrzeiten beibringen können. Um 12:30 Uhr gibt es Mittagessen gefolgt von einer Stunde Pause. Am Nachmittag ist dann wieder Unterricht, und wir Volontäre haben jeden Tag eine andere Klasse, mit denen wir zuerst eine Stunde spielen und dann noch eine Stunde malen. Nach dem Unterricht von 16:00–17:00 Uhr sind wir Volontäre dafür zuständig mit den Kindern was zu unternehmen. Oft gehen wir mit den Kindern in den Krishna River schwimmen – etwas was sie lieben, und oft danach fragen: «Sister, swimming?» 🙂 Nach dem Schwimmen müssen die Kinder sich waschen und das Haus putzen. Um 18:00 Uhr haben sie dann eine Lernstunde, wo wir Volontäre meist auch dabei sind und den Kindern helfen – meistens wollen sie Mathematikaufgaben haben. Dann ist eh schon Zeit für das Abendessen und danach ist Bettruhe. Der Tag ist also ziemlich voll, aber die kleinen Momente mit den Kindern, oder die Chai-Tee-Pausen helfen einem wieder Kraft zu tanken. Ausserdem ist es einfach nur ein unglaubliches Gefühl, zu sehen, wie sehr sich die Kinder über unsere Präsenz freuen.
11. August 2012
Im letzten Monat meines Aufenthaltes hier in Indien ist ziemlich viel los, doch die Arbeit mit den Kindern liess mich immer wieder den Abschlussstress vergessen. Langsam hat man einen wirklichen Bezug zu den Kindern erreicht und es ist schade, dass man genau dann wieder abreist: drei Monate sind einfach zu kurz! Es ist nicht so, dass ich davor mit den Kindern auf Distanz war – ganz und gar nicht – nur jetzt kennt man die einzelnen Charaktere schon besser und darum auch auf was man achten und aufpassen sollte. Auch die Kinder gehen mit uns Volontären anders um, weil uns nun länger kennen. Die Arbeit mit den Kindern ist so erfüllend und schön und wenn ich die Fortschritte, die sie beim Lesen, Schreiben und in der englischen Sprache machen, sehe, freut es mich umso mehr. Genau das, und die Freude der Kinder spornt einen an.
Auch das Zusammenleben mit den anderen Volontären ist schön. Am Wochenende kann man manche Probleme oder Gedanken über die Woche verdauen oder auch mal nach Rat fragen. Wir besprechen immer kurz was wir erlebt haben und meistens dann die Highlights ausführlicher, die einen dann wieder Vorfreude auf die kommende Woche machen. Am Ende jeden Monats gibt es ein Meeting, in dem alle Volontäre gebeten werden von der Situation in den einzelnen Projekten zu berichten. Da werden auch die Probleme besprochen und nach Lösungen gesucht
Von Indien selbst bin ich immer noch fasziniert. Es ist so schön, chaotisch, teils widersprüchlich und einfach nur bezaubernd zugleich. Genauso schwer, wie es ist Indien zu beschreiben, genauso vielfältig sind die Erlebnisse hier. Ich bin total froh, dass hier erleben zu dürfen und habe das Gefühl, fürs Leben gelernt zu haben.